Mein Weg zum (noch nicht ganz)-Titel

Ich habe das Examen letztes Jahr im ersten Anlauf besiegt und bin inzwischen 31 Jahre alt. Beate hat mich gebeten, meine Geschichte für euch aufzuschreiben und ich komme der Bitte gern, wenn auch etwas verspätet, nach.

Meine Reise begann im Jahr 2013, als ich mich während meines Jura-Bachelors fragte, was ich denn mit meinem Wissen anfangen könnte ohne Volljuristin zu werden. Der Titel „Steuerberaterin“ erschien mir als schöne Alternative, weil man damit auch vor Gericht vertreten kann ohne Anwältin zu sein. Ich habe mich dann in einer Kanzlei auf ein Praktikum beworben, ohne jemals etwas von Buchführung und Bilanzen gehört zu haben.
Es war ein komplettes Desaster, aber eine ältere Kollegin hat sich meiner dann angenommen und mir zumindest etwas das Buchen in DATEV beigebracht.

Das Abschiedsgespräch mit dem Chef nach den 4 Monaten lief in etwa so ab:

„Ich merke, Sie haben viel Elan diese ganzen Dinge zu lernen, aber ich sehe für Sie keine Zukunft in der Beratungsbranche!“.

Diese Aussage konnte ich so nicht auf mir sitzen lassen und schrieb mich umgehend für einen Master in Wirtschaft ein. Ich tauschte einige Wahlprüfungen mit Steuerfächern und schrieb alle Hausarbeiten im Steuerrecht, dennoch bewerte ich mein akademisches Steuerwissen im Nachhinein als recht dünn im Vergleich zu ausgebildeten Steuerfachangestellten.

Für die Masterarbeit ging ich wieder in eine kleine Kanzlei.
Weil das Praxisthema für die Bearbeitungszeit viel zu komplex war, entschied ich eine Industriepromotion zu beginnen. Gleichzeitig arbeitete ich 2 Tage die Woche in der Kanzlei und erstellte Jahresabschlüsse. Das Examen spukte weiterhin in meinem Kopf herum.
Ich wollte es unbedingt hinter mich bringen, auch um fundiertere steuerliche Kenntnisse in der Praxis anwenden zu können.

Im Dezember 2016 bestellte ich mir den kompletten Onlinekurs von Haas und bildete mir ein, in 2017 das Examen mitschreiben zu können.

Die Fülle an Lehrmaterial und die Dreifachbelastung mit Dissertation und Kanzleitätigkeit zog mir allerdings schnell den Zahn und ich musste mir im Frühjahr eingestehen, dass ich es so nicht schaffen würde. Es folgte ein Jahr voller Selbstzweifel und dem ständigen Gefühl nicht schnell genug vorwärts zu kommen. Letztendlich setzte ich mir das Ziel, im Herbst 2018 wieder in die Vorbereitung einzusteigen und 2019 dann den ersten Versuch zu starten.

Anfang Oktober 2018 hielt ich unverhofft einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen. Doktorarbeit nicht fertig, Examen nicht geschrieben, aber schwanger. Der Hammer.

Die gesamte Schwangerschaft über war ich im Prinzip nur damit beschäftigt, mit dem Gedanken klar zu kommen, dass sich das Leben jetzt komplett ändert und es nochmal schwerer werden würde, die ambitionierten Ziele zu erreichen. Nach vielen tiefen Gesprächen mit meinem Mann wurde mir klar, dass ich es nicht übers Herz bringen könnte, meine Ziele in irgendeiner Art aufzugeben.
Wir entschieden gemeinsam, die Elternzeit möglichst gerecht aufzuteilen, damit ich trotzdem weiter meinen Weg gehen kann. Wir entschieden, meinen Job bei der Kanzlei aufzugeben und beantragten Förderung für die Vorbereitung aufs StB-Examen 2020/21. Im Juni 2020 sollte der Vollzeitkurs bei der GFS starten, den die Agentur für Arbeit aufgrund meiner (selbstgewählten) Arbeitslosigkeit komplett übernahm.

Mein Mann ging einen Monat nach der Geburt unserer Tochter im Mai 2019 wieder für 5 Stunden am Tag arbeiten und ich setzte mich nach seinem Feierabend in die örtliche Stadtbibliothek und arbeitete an der Doktorarbeit.
Im April 2020 konnte ich dann endlich einen vollständigen Entwurf einreichen und wir fuhren im Mai nochmal als Familie in den Urlaub. Bis zum Start des Vollzeitkurses, der dank Corona vollkommen Online stattfand, hatte ich faktisch gar nichts mehr fürs Examen gemacht.

Dachte ich anfangs noch: „Ach das ist doch nur Arbeit vom 9.00 – 16.00 Uhr und an den Wochenenden habe ich frei“, wurde mir ganz schnell klar, dass ich viel zu naiv an die ganze Sache herangegangen bin. Es wurde erwartet, dass nach 7 h Unterricht täglich noch mehrere Stunden nachgearbeitet wird. Bis auf ein Wochenende im Monat waren alle Wochenenden mit Klausurenschreiben und -nacharbeiten belegt.

Ich saß tagein- tagaus eingepfercht zwischen Wickeltisch und Familienbett in einer kleinen 50 qm Wohnung. Im einzigen Nebenzimmer ein genervter Mann und ein quengeliges Kind, die gemeinsam die Eingewöhnung beim Tagespapa meistern mussten, während Mama unter absoluter Anspannung versucht dem Druck von allen Seiten Stand zu halten.

Irgendwie habe ich es geschafft alle 28 Klausuren des Kurses zu schreiben und einzureichen. Die Hälfte habe ich bestanden, aber nur eine besser als 4,0. Am Wochenende fuhren wir stets zu meinen Schwiegereltern aufs Dorf, damit ich in Ruhe Klausuren schreiben konnte. Erinnere ich mich jetzt an die Zeit zurück, war sie einfach geprägt von Überlebenswillen.

Das Examen selbst habe ich fast als Urlaub in Erinnerung. Es war richtig schön, allein ein Hotelzimmer für sich zu haben, ohne Kind, dass nachts stillen möchte. Die Klausuren waren körperlich sehr anstrengend, ich musste mir immer wieder selbst Mut zusprechen
„Halte durch! Halte durch! Halte durch!“.

Nach dem schriftlichen Examen ging es mit meiner Doktorarbeit weiter, deren Entwurf nun mit zahlreichen Anmerkungen und Korrekturvorschlägen zurückgekommen war. Dachte ich erst noch, die fehlenden Wochenenden hätten nach dem Marathon im Sommer ein Ende, wurde ich bald eines Besseren belehrt. Vorbereitung auf die mündliche gab es auch nur Online in Form von Wochenendkursen… also wieder die Familie vertrösten, wieder Freiräume schaffen, damit Mama vorm Laptop hocken und irgendwelchen Dozenten zuhören kann.

Kurz vor Weihnachten dann die überraschende Verkündung der Ergebnisse. Schriftliche Prüfung mit 4,5 bestanden und Einladung zur mündlichen.

Erster Gedanke: „Mist. Der Druck reißt nicht ab.“
Zweiter Gedanke: „Geil, damit bist du fast durch. In der mündlichen fällt hier kaum jemand durch.“

Da ab Dezember wieder Lockdown war, zogen wir komplett zu meinen Schwiegereltern ins Haus und ich konnte mich bis zu 6 h am Tag auf die mündliche vorbereiten.

Am 03.02. war es dann soweit. Nach einem super Vortragsthema, lief die erste Fragerunde denkbar schlecht für mich. Ich konnte tatsächlich einfach nicht antworten und machte das blödeste, was man tun kann, ich verstummte. Ich dachte schon das wars, aber dann kämpfte ich mich Runde für Runde durch und nahm jede neue Frage als Chance wahr, mich zu beweisen. Am Ende wurden meine zwei Mitprüflinge und ich zum Glück gemeinsam hereingerufen und wir durften die Gratulationen in Empfang nehmen.


Bis heute bin ich nicht bestellt und habe mir auch noch keinen neuen Job gesucht. Meine Doktorarbeit ist immer noch nicht verteidigt, aber der Druck ist weg. Ich genieße gemeinsam mit meiner Familie das Gefühl, eine riesige Zerreißprobe gemeistert zu haben und wir sinnieren häufig darüber, wie schlimm es für uns gewesen wäre, wenn ich die Hürde nicht so knapp genommen, sondern gerissen hätte.

Wie wurde in einem Zeitungsartikel übers StB-Examen mal getitelt: „Es kann sein, dass du danach alleine bist.“ Ich kann diesen Ausspruch sehr gut nachvollziehen und bin so dankbar und glücklich darüber, dass ich es nicht bin und so viel Hilfe in der harten Zeit erfahren habe.

Mia Mandala

Instagrem: mia_mandalaa

8 Kommentare

  1. Herzlichen Glückwunsch 🎊 Deine Geschichte macht mir Mut es als frische Mutter auch zu versuchen und nicht meine Pläne bis ins „irgendwann“ zu verschieben.
    Vielen Dank
    Karen

  2. Hallo Mia Mandala,
    was für eine tolle Geschichte! Großartig wie du das geschafft hast, sehr motivierend.
    Ganz wundervoll, dass deine Familie so an deiner Seite stand und eure Beziehung diese Tortur überstanden hat.
    Viel Erfolg bei deiner Docktorarbeit, darf ich fragen, warum du die überhaupt schreibst? Wozu brauchst du den Doktor Titel. Warum bist du noch nicht zum Steuerberater bestellt?
    Alles Gute
    LG Suse

    1. Liebe Suse, danke für deine Worte. Tja, warum schreibt man eine Doktorarbeit, gute Frage;) Das Thema ist mir so „vor die Füße gefallen“, da musste ich einfach zugreifen. Ich hatte damals einfach Lust drauf, vielleicht auch um noch nicht komplett ins Hamsterrad des Jobs einzusteigen. Ich hatte durch ein Stipendium für 3 Jahre ein gutes Auskommen und konnte mir meine Zeit komplett frei einteilen, es war eine inspirierende Zeit und ich habe sehr viel gelernt:) Also du siehst, es war jetzt keine 100%ige Aufwand-Nutzen-Analyse sondern primär eine Bauchentscheidung und ich bereue die Zeit nicht. Es wird sich zeigen, ob und wie sich der akademische Titel dann als Beraterin auszahlt.

      Bestellt bin ich noch nicht, weil dann gleich Kammerbeiträge und Versicherung fällig werden. Ist aber jederzeit möglich, wenn ich dann starten möchte.

      Viele Grüße von Mia

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